Nur nichts über das Knie brechen. Die Frage, mit der sich die Schüler am Marion Dönhoff Gymnasium im Laufe der nächsten Tage beschäftigen, will gut überlegt sein. „Klare Fragestellung erarbeiten, klare Antwort vorstellen“, gibt Professor Michael Morlock den Zehntklässlern noch mit auf den Weg in die Gruppenarbeit. Der Direktor des Instituts für Biomechanik an der TUHH wird bei der Vorstellung der Ergebnisse am Donnerstag selbst nach Blankenese reisen. Bis dahin sind es zweieinhalb Schultage. Das bringt die Gruppe „Knie“ ein wenig ins Schleudern. Jannis, Sophie, Annelene, Marie, Simon, Jan und Hinrich haben sich nämlich einiges vorgenommen: Sie wollen veranschaulichen, wie das Knie überhaupt funktioniert.
Das richtige Material
„Nur Infos aus dem Internet herausholen, ist langweilig“, sagt Marie. „Ich möchte mir auch gerne selbst ein Bild machen. Wie wäre es, wenn wir ein Kniegelenk im Modell nachbauen?“ Der Vorschlag trifft auf allgemeine Zustimmung: „Dann können wir am Modell erklären, warum man das Knie nicht nach oben drehen kann“, ergänzt Sophie. Aber womit soll gebaut werden? Beim Schlachter ein Schweineknie besorgen und in der Schule sezieren, meint Simon. Annelene schüttelt sich und Jannis den Kopf: „Das dauert zu lange.“
Fragen – aber richtig!
Auch wenn es an dieser Stelle hoch hergeht, es ist gar nicht so einfach für die Zehntklässler eine eigene Fragestellung zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe hat vier Tische zusammengerückt, sich an die Längsseiten verteilt und schaut auf leere Tische und kahle Wände. Die Prothesen, Modelle und Geräte aus dem Institut für Biomechanik fehlen hier im Northern Institute of Technology, kurz NIT, das die Gruppe nur für die Arbeitssitzung beherbergt. Da ist es gut, dass Tutorin Annelie Rehmer ein wenig unterstützt: „Welche Fragestellung wollt ihr denn mit dem Modell bearbeiten?“, hakt die Ingenieurin nach, nachdem das Team sich auf ein Modell aus Styropor (für die Knochen), Gummibänder (Kreuzbänder) und Pappmaschee (für den Knorpel) geeinigt hat.
Daten vom eigenen Körper
Die Gruppe will den Mitschülern zeigen, wie das Knie funktioniert und welche Funktionen die einzelnen Bänder haben. „Wozu braucht ihr da den Knorpel?“ hilft Annelie weiter. Es gehe ja in dem Modell nicht um eine detailgetreue Nachbildung, sondern um Veranschaulichung – und das in der Trocknung höchst langwierige Pappmaschee kann getrost wegfallen. Dafür sollten die Bewegungsmöglichkeiten annähernd realistisch sein: „Wir können doch unser eigenes Knie und den Bewegungsumfang vermessen“, meint Jan. Gute Idee: die Arbeit mit dem Winkelmesser wird die erste Aufgabe. Dann kommt der Modellbau.
Optik ist Nebensache
„Wie wollen wir das Knie anmalen?“, fragt Sophie. „Das ist doch scheißegal“, platzt Jannis der Kragen. „Das ist eine naturwissenschaftliche Arbeit und kein Kunstobjekt.“ Der 15-Jährige möchte untersuchen, welche Prothesentypen es gibt, welche Probleme dabei auftreten und wie man sie beheben kann. Die Frage nach den Prothesentypen kann man doch gut mit dem Modell verbinden, vermittelt Tutorin Rehmer. Es könnten eh nicht alle sieben Teammitglieder gleichzeitig an einem Modell arbeiten. „Geht einfach nach dem Zeitfaktor, wenn ihr das Modell am Ende noch verschönern wollt“, so ihr Rat.
Erst Daten sammeln, dann verbessern
Nur die Fragestellung muss noch weiter präzisiert werden: „Wenn die Forscher es schon nicht schaffen, die Probleme, die bei einer Knieprothese auftreten, zu lösen, werden wir das wohl kaum hinbekommen“, bleibt Annelene skeptisch. Daher einigt sich das Team erst mal auf eine genaue Recherche: Welche Prothesentypen gibt es, bei welchem Knieproblem kommt welcher Typ zum Einsatz und was sind jeweils die Vor- und Nachteile. „Wenn noch Zeit bleibt, können wir immer noch überlegen, was man bei den Prothesen besser machen kann“, so Jannis.
Lernen fürs Leben
Und wie soll der Rechercheteil präsentiert werden? „Professor Morlock hat gesagt, keine langweiligen Powerpoint-Präsentationen und dann hat er selbst mit seiner Powerpoint angefangen“, bemerkt Hinrich lakonisch. Stimmt, aber die war nicht langweilig, weil der Biomechaniker ein Anhänger des projektorientierten Lernens ist: Selbst denken, selbst erarbeiten und begreifen, lautet seine Devise. „Alles rezeptiv Gelernte ist enorm flüchtig.“ Daher hat der Professor in seiner Einführung den Schülern auch nicht wirklich vorgelesen, sondern hauptsächlich Fragen gestellt.
Kulturübergreifendes Forschen
„Was machen die Asiaten anders als die Europäer?“ will Morlock beispielsweise wissen, als die Arbeitsgruppen ihre Aufgabenstellung zum Abschluss kurz im Plenum präsentieren. Genau, sie sitzen auf Böden und im Schneidersitz. „Die haben im Knie ganz andere Anforderungen an die Bewegung als wir. Darüber kann man sehr viel herausfinden.“ Dass die Zehntklässler dies mit einem Modell machen wollen, gefällt dem Professor und er hat auch noch einen Tipp parat: „Schaut mal nach dem Begriff Viergelenkkette.“ Bei der eigentlichen Bewegung am Knie ändere sich nämlich die Länge der Bänder gar nicht. „Das kann man sehr schön am Modell zeigen.“
Das mechanische Knie
Eine Viergelenkkette hat zwei Fixpunkte und drei Glieder, die miteinander beweglich verbunden sind. Sie veranschaulicht das größte menschliche Gelenk aus mechanischer Sicht, denn das Knie ist ein Getriebe mit sechs Freiheitsgraden der Bewegung, sagen die Wissenschaftler. Genau um diese Verbindung zwischen Physik und Biologie geht es in der Woche der Biomechanik, für die sich die Marion Dönhoff Gymnasiasten freiwillig gemeldet haben. Den versäumten Schulstoff dieser Woche müssen sie nachholen.
Spannende Woche
„Wenn ich in Physik Kräfte errechne, dann denke ich, das brauche ich später nie. Aber hier ist das etwas anderes, das hat ja auch mit einem selber zu tun“, sagt Sophie. Die Schülerin hat einen Bekannten, der auch an der TUHH studiert hat. Der hat ihr geraten: Nimm die Woche mit, das wird spannend. Das gilt mit Sicherheit nicht nur für das „Knie-Team“, sondern auch für die anderen Arbeitsgruppen. Die „Knorpler“ wollen beispielsweise untersuchen, wie man einen Knorpelschaden überhaupt diagnostizieren kann, die „Hüftler“ fragen, wie möglichst viele Revisionsoperationen möglich sind, und die Gruppe „Materialien für den Gelenkersatz“, ob Carbon, Magnete oder Glasfasern sich für Hüftprothesen eignen. „Sehr schön, ich freue mich schon auf kommenden Donnerstag“, verabschiedet Professor Morlock seine Gäste.